Detonation einer schweren Bombe in Osterwick

am Freitag, den 22. 9. 1944.

 

Am Mittwoch, den 20. 9. 1944 teilten mir Kinder mit, daß in der Bauernschaft Höven bei Schloß Varlar V 1-Geschütze aufgestellt würden. Feststellungen erga­ben, daß insgesamt etwa 200 Mann am Mittwoch sich in der Bauernschaft Höven von Varlar bis Frieling selbständig einquartiert hatten. Einige Tage vor­her waren mehrere Offiziere bei mir gewesen, um auf Schloß Darfeld für einen General mit seinem Stabe und 150 Mann Quartier zu machen. Jede Frage nach dem Woher und Wohin blieb völlig unbeantwortet.

Am Mittwochmorgen fuhren 6 neuartige Fahrzeuge durch das Dorf Osterwick in Richtung Schloß Varlar. Es waren stark gebaute Lafetten, auf denen längli­che, in der Form einem Zeppelin  ähnlich sehende Körper lagen, die am Ende ein Leitwerk in Breite einer Doppeltür hatten.

Am Nachmittag kam ein Gefreiter zu mir und fragte, ob seine Familie unter den Evakuierten aus dem Kreise Erkelenz sei, die in Osterwick untergebracht sind. Er machte mich darauf aufmerksam, daß sie voraussichtlich bereits in der kommenden Nacht schießen würden. Wenn ich ein donnerähnliches Geräusch hören und eine Feuerkugel sehen würde, dann seien das ihre Abschüsse.

Tatsächlich wurden dann in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gegen 3 Uhr und 5 Uhr feurige Kugeln, von Osten nach Westen fliegend, in Osterwick und Holtwick beobachtet. Während des Donnerstag gingen wieder 1 Raketen­bombe gegen 12 Uhr, 5 Uhr und 19 Uhr über den Amtsbezirk hinweg.

Die Raketenbombe um 19 Uhr hinterließ einen breiten hellen Kondensstreifen und fiel dann plötzlich in Richtung Coesfeld herunter. Sie ist in Coesfeld-Ste­vede bei der Mühle Ahlers als Blindgänger mit starkem Geräusch eingeschlagen und hat ein Loch von 15 m Durchmesser und 8 m Tiefe verursacht. Außer star­ken Beschädigungen an in der Nähe liegenden Gebäuden sind keine Schäden entstanden, da die Bombe detoniert ist. Diese Raketenbombe war von der bei der Oberförsterei im Rosengarten aufgestellten Batterie abgefeuert.

Am heutigen Freitag – 22. 9. 1944 – gegen ½ 5 Uhr hörte man den Abschuß einer Raketenbombe mit donnerähnlichem Geräusch und kurz darauf einen star­ken Knall. Ungefähr 5 Minuten später hörte man dann eine sehr starke Erschüt­terung. Diese Raketenbombe war aus der Feuerstellung ungefähr 150–200 m. von der Oberförsterei in Richtung fürstlichen Friedhof abgeschossen. Sie ist mitten zwischen hohen Bäumen senkrecht in die Höhe geschossen. Etwas über Baumhöhe ist die Bombe dann infolge eines Konstruktionsfehlers senkrecht nach unten an die Abschußstelle zurückgefallen. 5 Minuten später ist dann, als die Geschützbedienung brennende Teile ablöschte, der 1 m lange Zünder dieser Bombe explodiert. Die übrigen Teile der Bombe waren noch nicht scharf und detonierten daher nicht.

Durch den Zünder allein wurden mehrere starke Bäume umgerissen und die Oberförsterei im Dachstuhl und an Türen und Fenstern stark beschädigt. Außer­dem sind 10–12 Gebäude im weiteren Umkreis, so unter anderem die Schloß­gärtnerei (Heßmann), die Höfe Mathmann-Hauling, Döker, Uesbeck, Hans und Klümper beschädigt worden. Auch an der Rückseite des Schlosses Varlar sind ca. 250–300 Fensterscheiben zerstört worden.

An der Abschußstelle selbst wurde 1 Mann getötet, 2 Mann schwer und 3 Mann leicht verletzt. Von den beiden Schwerverletzten ist inzwischen 1 Mann gestorben.

Wie mir der Hauptmann mitteilte, hat die Batterie bisher keinen Versager bei ihren Abschüssen in Holland gehabt.

Die Bezeichnung dieser neuen Geheimwaffe ist bisher noch nicht bekannt geworden, da alle Angehörigen dieser Formation zu strengstem Stillschweigen verpflichtet sind und jede Auskunft ablehnen. Seit 6 Wochen besteht sogar für diese Formation Briefsperre.

Eine der neuen Raketenbomben stand – ganz vorzüglich getarnt – am Weg zum Rosengarten. Die Bombe ist 17 m. lang und hat die Form einer Zigarre mit einem Durchmesser von ca. 2 m. Am Schwanzende befindet sich das Leitwerk in Form eines großen 4 eckigen Kastens von ca. 2–2 ½ m. im Geviert. An der Spitze befindet sich ein 1–1 ½ m. langer Zünder, der in einem kleinen Glasröhr­chen ausläuft. Von Augenzeugen hörte ich, daß die Raketenbomben fast senk­recht bis zu 8.000 m. Höhe durch eigenen Antrieb emporgeschossen wird und dann erst ihre vermutlich durch elektrische Fernlenkung gesteuerte Flugbahn einschlägt. Ihre Reichweite soll bis zu 370–380 klm. betragen. Von den hier und in der Nähe aufgestellten Batterien sollen Gebiete in Frankreich und Holland beschossen werden. England liegt von hier außerhalb der Reichweite. z.Zt. wer­den täglich 2–3 Abschüsse von Raketenbomben hier wahrgenommen.

Osterwick, den 22.September 1944.  Dr. Herbsthoff

[Von Dr. Herbsthoff handschriftlich hinzugefügt:]

Am 26. 9. 1944 gegen ½ 10 Uhr flog ein schweres Geschoß als Feuerkugel Richtung Asbeck–Höpingen–Laer u. am 27. 9. 1944 gegen 8 Uhr vorm. dasselbe in Richtung Asbeck–Legden mit schwerer Detonation. (Kurzschüsse )

DVD - Osterwick im Jahr 1937

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